36 PRAXIS Das kleine Arbeitspferd Der Geländewagenspezialist Steyr-Puch aus dem österreichischen Graz ist heute zumindest unter Fachleuten ein Begriff. Die Entwicklung der SUV-Legende Mercedes G-Klasse verlief in einer Kooperation zwischen den beiden Unternehmen unter Federführung von Puch. Noch heute wird das Modell dort gebaut. Ihr außerordentliches Renommee erwarben sich die Grazer aber unter anderem mit eigenen Off-Road-Fahrzeugen. Der Erstling hörte auf den Modellnamen Haflinger – benannt nach der gleichnamigen Rasse kleiner, aber zäher Gebirgspferde. Sein Ursprung weist Parallelen zur Entwicklung anderer Geländewagen auf: Wie der legendäre Jeep oder die VW-Kreationen 181 (Kübel) und Iltis als auch der mächtige Hummer geht der Steyr-Puch Haflinger auf eine militärische Ausschreibung zurück. Der Puch bringt alles mit, was von einem guten Geländewagen erwartet werden kann. Das voll synchronisierte Schaltgetriebe hat in der Grundversion vier Gänge, optional war eine Fünfgangbox möglich, bei der ein Kriechgang enthalten ist. Es sitzt zusammen mit dem Hinterachsantrieb in einem Gehäuse und bildet den Grundvortrieb des Haflingers. An der Vorderachse ist ein Differenzialgetriebe für den zuschaltbaren Frontantrieb. Dieser kann ebenso während der Fahrt eingelegt werden wie die 100%igen Differenzialsperren an beiden Achsen. Diese Ausstattung verleiht dem kleinen Kraxler größte Steigfähigkeit im ersten Gang bei trockenem, griffigem Untergrund bis zu 65 %, entsprechende Reifen vorausgesetzt. Die beiden getrennten Differenzialsperren ermöglichen ein Fortkommen des Fahrzeugs selbst dann, wenn nur noch ein einziges Rad Traktion hat. Doch die Geländegängigkeit beruht auf weiteren Merkmalen: Aufgrund der Form des Bodens und der Karosserieüberhänge sind große Böschungswinkel fahrbar, die vorne mit 45° und hinten immer noch mit 40° angegeben werden können. Hinzu kommt eine große Bodenfreiheit von 24 cm unter Volllast und damit ein günstiger Rampenwinkel in der Mitte, was die Überschreitung von Hindernissen erleichtert. Schließlich wirkt bei dem nur knapp 3 m langen Fahrzeug ein kurzer Radstand von 1,5 m mit. Trotz der kleinen Radgröße von 12'' erreicht der Haflinger all dies über das Fahrwerk mit Einzelradaufhängung an gegabelten Portal-Pendelhalbachsen mit Schraubenfedern rundum. Die Portalachsen bestehen aus einem Achs-Zentrum über dem Rad-Zentrum, UNSCHEINBAR: Ein gut restaurierter Haflinger ist auch heute noch eine Augenweide. Fotos: Wistinghausen Zum Ende der 1950er-Jahre entsprach das Ergebnis aus Graz den damaligen Vorstellungen des Militärs, was den Haflinger als Einsatzfahrzeug für die alpenländischen Einsatzkräfte geeignet erscheinen ließ. Das Konzept war darüber hinaus überzeugend. Der Puch Haflinger wurde nicht nur bis in die Mitte der 1970er-Jahre gebaut, sondern konnte neben den heimatlichen Soldaten auch Truppen etwa in der Schweiz und Indonesien als Käufer gewinnen. Für heutige Verhältnisse mutet der Steyr- Puch beinahe skurril an, wie er so schmal und hochbeinig auf seinen kleinen 145er- 12''-Rädern steht. Fast macht er einen unbeholfenen Eindruck. Doch der Grazer Klein-SUV sollte keineswegs unterschätzt werden, denn sein Name war Programm. Nur auf den ersten Blick erscheint der Puch Haflinger als kleines Spielzeug. Abseits der Straße hält der Winzling mehr, als er verspricht. Schon der Name des Herstellers sollte hellhörig machen. Der Allradspezialist Steyr-Puch hat den Könner vor allem für den Einsatz im Gebirge entwickelt. Geländegängig und maximal steigfähig UNTERMOTORISIERT: Der kleine Zwei- Zylinder-Heckmotor ist für den Straßenbetrieb etwas schwach dimensioniert. NAME IST PROGRAMM: Der kleine Haflinger verfügt unter anderem über eine enorme Bodenfreiheit. GESTEINS Perspektiven 2 | 2022
PRAXIS 37 SIMPEL UND DOCH KOMPLEX: Die übersichtliche Fahrerkabine braucht nur das Nötigste – dazu gehören die mannigfaltigen Hebel für Allradantrieb, Differenzialsperren und Co. KEIN WEG ZU SCHWER: Für den Haflinger gibt es im Gelände immer ein Fortkommen. was die Bodenfreiheit erhöht. Die Endübersetzung erfolgt in den Radnarben. Die unabhängige Radaufhängung an allen vier Rädern bietet jeder Halbachse etwa 25 cm Verschränkungsfähigkeit, was die potenzielle Bodenhaftung optimiert. Auch die Watfähigkeit ist daher mit 0,5 m enorm für ein Fahrzeug dieser Dimension. Zumindest in der Standardversion mit Stoffverkleidung ergibt sich aus der Kombination von Zentralrohr-Chassis und dem Fehlen eines oberen Karosserieaufbaus ein niedriger Schwerpunkt, der Hang- und Schrägfahrten bis 45% erlaubt. Die Einzelradlenkung mit geteilter Spurstange sorgt für große Radeinschläge und damit für die erforderliche Wendigkeit. Eher nichts für flotte Straßenfahrten Ein weiteres Merkmal ist die Wandelbarkeit des kleinen Österreichers. Neben der Masse in militärischer Ausführung und Sonderausstattungen für Bergwacht oder Feuerwehr gibt es auch diverse Varianten im zivilen Sektor. Alle machen sich neben der extremen Geländegängigkeit besonders die kompakten Außenmaße zunutze. Dabei spielt besonders die geringe Breite von nur 1,35 m eine wichtige Rolle. Damit war der Haflinger eine ideale Basis für enge Innenstädte. Große Metropolen wie etwa Berlin oder Frankfurt nutzten entsprechende Kommunalfahrzeuge mit verstärktem Fahrwerk und Rahmen. Bei Nachrüstung eines Bremskraftverstärkers wächst die Nutzlast für verschiedene Aufbauten von etwa 500 kg bei der Grundversion auf stattliche 1,2 t. Am Getriebe erlaubt ein optionaler Nebenantrieb den Einsatz einer Seilwinde oder Zapfwelle. Die einfache Basis des Haflingers PLATZ FÜR VIELE: Zusätzliche Sitze lassen sich ausklappen. Bei Bedarf ist darunter zusätzlicher Stauraum verborgen. weist immerhin fast 2 m² Ladefläche auf. Bei Bedarf können mit unter Klappen versenkbaren Sitzen dort bis zu vier zusätzliche Personen Platz nehmen. Mit wenigen Hangriffen lassen sich zudem die Türen ganz oder teilweise entfernen sowie das gesamte Dach abbauen und die Windschutzscheibe abklappen. Abseits der Straße muss der Österreicher einem Respekt abringen. Es gilt ein legendärer Leitsatz: Im Gelände kommt der Haflinger immer ein gutes Stück später an seine Grenzen, als der Fahrer sich zutrauen mag. Für den vollen Spaß ist Entschlossenheit aber ebenso wichtig wie etwas Erfahrung, denn sonst legt man den schmalen hochbeinigen Wagen auch schon mal auf die Seite. Die entsprechend nötigen Geländereifen vertragen sich leider absolut nicht mit dem Straßenbetrieb. Besonders auf nassem Asphalt läuft der Puch wie auf Schmierseife. Aber auf einer Autobahn oder Schnellstraße ist er ohnehin fehl am Platz. Sein kleiner Motor reicht nur für knapp 80 km/h Höchstgeschwindigkeit bei nur gut 600 kg Leergewicht. Aus ganzen 650 ccm erweckt der Zwei-Zylinder- Boxer je nach Ausführung nur maximal 27 PS. Der Motor soll auf Konstruktionen von Ferdinand Porsche zurückzuführen sein. Mit dessen deutschen Kreationen von VW oder Porsche teilt er sich diverse Merkmale von den hängenden, schräg gestellten Ventilen, über Stößelstangen betätigt, sowie die zentrale Nockenwelle. Vom Steyr-Puch Haflinger wurden in den Jahren 1959 bis 1975 immerhin insgesamt 16.672 Fahrzeuge aller Varianten verkauft. (bwi) www.puch-haflinger.at VARIABEL: Die Türen schwingen weit auf und sind mit wenigen Handgriffen zu entfernen.
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