18 Schwerpunkt: Bitumenexposition – Teil 1 und in Europa zu etwa 2 % zum Einsatz kommt, wird diese Bauweise in Deutschland praktisch gar nicht genutzt. Um die Verminderung der Expositionen beim Einbau von temperaturabgesenkten gegenüber konventionellen Asphalten zu verdeutlichen, präsentieren Rühl und von Devivere in [24] eine Übersicht, die hier auszugsweise für Walzasphalt wiedergegeben wird (s. Abb. 2). Informationen zu den Baumaßnahmen werden auch hier nicht gegeben. Die 95-Perzentile aus dem konventionellen Einbau gleichen denen aus der Tab. 2. Während in dem in 2005 in den USA veröffentlichten Bericht [22] noch von Einbautemperaturen zwischen 140 und 180 °C Abb. 3: Vergleich zwischen in Frankreich und Deutschland ermittelten Expositionen [19] Abb. 4: Übertragung der vom INRS ermittelten Effekte aus dem Einbau von temperaturabgesenktem Asphalt (NTA) und der Verwendung von Fertigern mit einer Absaugvorrichtung auf die in Deutschland ermittelten 95-Perzentile der Bitumenexpositionen [19]. (Quelle: Abb. 3 + 4 + 5: Musanka) die Rede ist und berichtet wird, dass mit einer maximalen Einbautemperatur von 180 °C die höchsten Expositionen (95-%-Wert) bei etwa 10 mg/m 3 für die Summe der Dämpfe und Aerosole von Bitumen liegen, werden hier 160 °C genannt. Ganz kurios wird es dann bei den Ergebnissen zum temperaturabgesenkten Asphalt. Mit der Angabe von Spannweiten einer dem Leser vorenthaltenden Anzahl von Messwerten ist ein seriöser Vergleich der unterschiedlichen Einbautechnologien gar nicht möglich. Auf der Homepage der BG Bau ist eine Liste mit Baustellen hinterlegt, auf denen temperaturabgesenkter Asphalt eingebaut wurde [3]. Auch wenn man auf die vier genannten Baustellen im Freien und zusätzlich noch auf die sieben aufgeführten Tunnelbaustellen zurückgreift, sind die in der Abb. 2 wiedergegebenen Spannen noch nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar. Die Tab. 3 zeigt die in der Expositionsbeschreibung [4] beim Einbau von temperaturabgesenktem Walzasphalt im Freien erhaltenen Expositionen bei Einbautemperaturen „zwischen 120 und 166 °C, im Mittel bei 138 °C“. Obwohl beide Tabellen unter der Federführung der BG Bau entstanden sind, ist es nicht nachvollziehbar, dass die gezeigten Werte noch nicht einmal annähernd miteinander korrespondieren und aufgrund nicht aufeinander abgestimmter Veröffentlichungen eher Verwirrung stiften, als einen optimistischen Eindruck zu vermitteln. Auch für die Tab. 3 gilt das bereits Gesagte: die gravierenden Unterschiede bleiben unkommentiert. Es wird auch kein Hinweis gegeben, wie die Temperaturabsenkungen erfolgten. An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass verschiedene Möglichkeiten bestehen, die Mischguttemperaturen zu reduzieren, und dabei vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, die aus den polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen resultierenden gesundheitlichen Belastungen zu reduzieren, nicht ausschließlich an organische Additive gedacht werden darf. Der Vergleich der Tab. 3 und 1 zeigt weitere, nicht kommentierte Ungereimtheiten auf: Wie ist es erklärbar, dass trotz durchgängig niedrigerer Medianwerte das 95-Perzentil für den Fertigerfahrer – bei nur rd. einem Drittel der Datenmenge – mit 7,29 mg/m³ nur geringfügig unter dem Wert aus dem konventionellen Einbau liegt (8,90 mg/m³) und sich die Maximalwerte so gut wie nicht unterscheiden? Bei den Walzenfahrern fällt der Vergleich noch überraschender aus: das 95-Perzentil der Messdaten aus dem Einbau temperaturabgesenkter Asphalte ist größer und der Maximalwert mehr als doppelt so hoch. Im Rahmen der bereits erwähnten Sitzung des Gesprächskreises schätzt Musanke weiter ein [19], dass rückblickend beim Einbau von temperaturabgesenktem Asphalt im Freien der neue AGW bei den Kolonnen-/Bohlenführern sowie Fertigerfahrern zu jeweils 40 % und bei den Walzenfahrern zu 80 % eingehalten wurde. Aus einer von ihm gezeigten und in der Abb. 3 wiedergegebenen Tabelle wird deutlich, dass die in Frankreich vom Institut national de recherche et de sécurité (INRS) ermittelten Expositionen wesentlich geringer sind als die auf deutschen Baustellen gefundenen Werte. Die unter DE und DE 95P angegebenen Messwerte stimmen mit den Werten der Tab. 1 überein. Einmal abgesehen davon, dass die Benutzung des arithmetischen Mittelwertes streng genommen nur für symmetrische Verteilungen (die hier nicht vorliegen) sinnvoll ist und der Tatsache, dass die so charakterisierende Maßzahl sehr empfindlich bei Vorliegen von Ausreißern reagiert, hat man sich nach langen Jahren der Ignoranz nun offensichtlich doch entschlossen, den Ursachen für die gravierenden Unterschiede nachzugehen. 7|2020
Schwerpunkt: Bitumenexposition – Teil 1 19 Straßenfertiger werden für die USA und Frankreich seit Langem mit Systemen ausgeliefert, die die Bitumenemissionen aus dem Bereich der Materialförderung vor der Grundbohle absaugen und in etwa auf Höhe des Kabinendaches ins Freie leiten. Kluger und Musanke berichten in [15] von Erkenntnissen aus Frankreich, wonach die Exposition um rd. 50 % reduziert werden kann. Da kann es nur verwundern, dass diese positiven Erfahrungen bisher in Deutschland nicht nur keine Beachtung gefunden haben, sondern im Auftrag des Gesprächskreises von dessen Obmann noch im Jahr 2014 das Ziel verfolgt wurde, die Anschaffung von Fertigern mit Absaugvorrichtungen geschweige denn deren Nachrüstung nicht zwingend zu fordern, weil „nach Meinung des Gesprächskreises BITUMEN […] aber durch die üblichen Konzentrationen bei Walzasphaltarbeiten eine nur sehr geringe Belastung der Beschäftigten, keinesfalls eine gesundheitsschädigende [besteht]” [23]. Den Ausführungen schließt sich die Frage an, warum nur die Belastung des Fertigerfahrers reduziert wird und „wenn eine Belastung gesenkt werden soll, dann doch sicher die des am höchsten belasteten Beschäftigten”, des Bohlenführers. Rühl, verantwortlich zeichnend für den technischen Teil des hier zitierten Beitrages, argumentiert weiter, dass die abgesaugten Dämpfe und Aerosole aus Bitumen ungefiltert ins Freie geleitet werden und zwar dorthin, wo sich Bohlenführer und weitere Beschäftigte aufhalten. Obwohl diesbezüglich keine Messungen vorlägen, wäre zu vermuten, dass dadurch die Belastung dieser Beschäftigten erhöht würde. „Wo das Wissen aufhört, fängt der Glaube an.” (Augustinus von Hippo) Da hat man Mühe, die Aufgabe der Gewerblichen Berufsgenossenschaften wiederzuerkennen, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten. In dem Zusammenhang kann der aufmerksame Leser nur über die in [25] vollzogene Kehrtwende staunen, wenn Rühl nun argumentiert, dass es „unverantwortlich in Bezug auf die Gesundheit der Beschäftigten“ sei, jetzt Asphaltfertiger ohne Absaugung zu kaufen. Und plötzlich wird mithilfe einer Absaugung auch die „Belastung des Bohlenführers verringert“. Der Autor des vorliegenden Artikels ist der Auffassung, dass bei großer Arbeitsbreite nicht unbedingt über die volle Breite der Schnecke abgesaugt werden muss. Aus seiner Sicht würden zwei zusätzliche, kleinere Absaugvorrichtungen an oder in unmittelbarer Nähe der Außenbedienstände ausreichen. Die Abluft könnte dann entweder direkt nach oben oder in den Bereich der Grundbohle geführt und von der dort installierten Absaugvorrichtung aufgenommen und weitergeleitet werden. Bereits vor Jahren wurde von Willi Dietrich (Bauunternehmen Hermann Kirchner, Bad Hersfeld) der Vorschlag unterbreitet, sowohl den Materialkübel als auch den Schneckenkanal abzudecken. Wenngleich damals das Motiv war, Temperaturverluste zu minimieren, so sollte unter dem Gesichtspunkt der Emissionsminderung zumindest der Vorschlag bezüglich des Schneckenkanals untersucht werden. Hinsichtlich des Materialkübels muss über eine weitere Absaugmöglichkeit nachgedacht werden. Unter Umständen kommt man bei bestimmten Einbausituationen vielleicht sogar nicht daran vorbei, Fertiger mit einer druckbelüfteten Kabine einzusetzen. Diese u. ä. Fragen können nur seriös beantwortet werden, wenn gezieltere Untersuchungen zu den Bitumenemissionen als bisher vorgenommen werden. Kluger und Musanke schätzen im Januar 2020 ein, dass beim Einbau von temperaturabgesenktem Asphalt mit Fertigern, die mit einer Absaugvorrichtung ausgerüstet sind, in rd. 80 % der Fälle der AGW eingehalten wäre, und bringen sibyllinisch ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass „eines Tages das Ziel erreicht werden [mag], den AGW auch im Asphalteinbau einhalten zu können“ [15]. Ein wenig satirisch könnte man mit Cicero (106–43 v. Chr.) antworten: „Dum spiro, spero.“ (Solange ich atme, hoffe ich.) Bereits im Juli 2019 präsentiert Musanke im Rahmen der bereits mehrfach erwähnten Sitzung des Gesprächskreises [19] eine Tabelle, in der augurisch die Auswirkungen des in Frankreich festgestellten Effektes aus der Kombination temperaturabgesenkter Asphalt und Absaugvorrichtung am Fertiger auf die aus der Tab. 1 stammenden DE-95P-Werte abgeschätzt werden (s. Abb. 4). Die in Klammern stehenden, blau markierten Werte sind identisch mit den 95P-Werten der Tab. 3. Die unter „NTA“ und „Absaugung“ aufgeführten Zahlen ergeben sich aus der Reduzierung der DE-95P-Werte um 25 bzw. 35 %. Aus einer Verminderung von 51 % folgen die unter „Beides“ stehenden, nicht eingeklammerten Werte. Der Frage nachzugehen, woraus sich die eingeklammerten violett markierten Werte ergeben, stellt den Leser vor ein unlösbares Problem. Ebenso erstaunlich sind die Prognosen für Bohleneinsteller und Walzenfahrer. Während nach Rühl eine Absaugvorrichtung am Fertiger nur etwas für den Fertigerfahrer bringt [23], wird hier dem Bohlenführer der Effekt voll angerechnet. Und angesichts der Tatsache, dass sich Walzenfahrer überwiegend in beachtlichen Abständen zur Bohle bewegen, ist es schon mehr als kühn, hier einen Effekt aus der Fertigerabsaugung zu prognostizieren. Im Oktober 2019 gibt Musanke [20] im Rahmen einer weiteren Sitzung des Gesprächskreises erste Ergebnisse aus dem Einbau von Walzasphalt mit Fertigern bekannt, die mit einer Absaugvorrichtung ausgerüstet waren, s. Abb. 5. Der Leser kann erahnen, dass es sich wahrscheinlich um drei verschiedene Baustellen handelt. Die Hinweise „pers.“ und „stat.“ bezeichnen vermutlich die Positionierung des Messsystems: in Höhe des Kopfes des Bohlenbedieners bzw. in der Mitte der Bohle (Fertigerachse), um die Entwicklung der Exposition in Abhängigkeit des Abstandes von der Absauganlage abschätzen zu können [35]. Leider werden auch in diesem Fall keine Informationen zu den Einbaubedingungen mitgeteilt, weshalb es sich aufgrund der geringen Datenmenge auch um stochastische Ergebnisse handeln könnte. So scheint der Einbau von temperaturabgesenktem Walzasphalt ohne 7|2020
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