14 Schwerpunkt: Bitumenexposition – Teil 1 Arbeitsplatzgrenzwert Zur Ermittlung und Bewertung der Bitumenexposition beim Einbau von Walzasphalt Die asphaltverarbeitende Industrie steht dem um eine Zehnerpotenz verschärften Arbeitsplatzgrenzwert für Bitumenemissionen bei der Heißverarbeitung beinahe ohnmächtig gegenüber, weshalb es unumgänglich ist, sich kritisch mit Fragen zur bisherigen Erfassung und Bewertung der Bitumenexpositionen beim Einbau von Walzasphalt auseinanderzusetzen, Empfehlungen für die Durchführung weiterer notwendiger Messkampagnen zu unterbreiten und auf dieser Grundlage eine möglichst breite und fachlich qualifizierte Diskussion anzuregen. Im ersten Teil dieses zweiteiligen Beitrags wird sich kritisch mit Fragen zur bisherigen Erfassung und Bewertung der Bitumenexpositionen beim Einbau von Walzasphalt auseinandergesetzt. Im zweiten Teil unterbreitet der Verfasser Empfehlungen für die Durchführung weiterer notwendiger Messkampagnen. Dr.-Ing. Ronald Utterodt „Es ist un - möglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen.“ (Georg Christoph Lichtenberg, 1742– 1799) Aus Sicht des Verfassers ist es unumgänglich, sich unverzüglich kritisch mit Fragen zur bisherigen Erfassung und Bewertung der Bitumenexpositionen beim Einbau von Walzasphalt auseinanderzusetzen und Empfehlungen für die Durchführung weiterer notwendiger Messkampagnen zu unter breiten. (Quelle: DAV/hin) Auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) wurde 1997 der sozialpartnerschaftlich organisierte Gesprächskreis Bitumen „unter der Obmannschaft der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau)“ [21] gegründet, um an der Abklärung und Minimierung möglicher Gesundheitsgefahren durch Dämpfe und Aerosole aus Bitumen zu arbeiten, denen die Beschäftigten u. a. beim Einbau von Walzasphalt ausgesetzt sind. Nach dem Wegfall des gesetzlich geregelten Luftgrenz wertes von 10 mg/m³ für Dämpfe und Aerosole aus Bitumen (Mineralölstandard [6]) im Jahr 2004 hat der Gesprächskreis vereinbart, sich bei der Beurteilung der Expositionen trotz des in der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) [9] verankerten Minimierungsgebotes für alle Gefahrstoffe weiterhin so lange an diesem Wert zu orientieren, bis neue Erkenntnisse vorliegen. Während mit der auf der Homepage der BG Bau hinterlegten Expositionsbeschreibung vom April 2018 [4] den Einbauunternehmen noch vermittelt wird, „dass beim Verarbeiten von Walzasphalt im Straßenbau im Freien bei achtstündiger Tätigkeit ohne weitere Schutzmaßnahmen gearbeitet werden kann, wenn die […] Verarbeitungstemperaturen 160 ± 20 °C eingehalten sind, die Belüftung der Fertigerbühne nicht durch einen dreioder allseitigen Abschluss behindert wird, kein Diesel, 7|2020
Schwerpunkt: Bitumenexposition – Teil 1 15 Altöl oder Ähnliches als Trennmittel verwendet wird und der Einbau von konventionellem Walzasphalt nicht in Tunneln erfolgt“, steht nun die asphaltverarbeitende Industrie dem in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe TRGS 900 [31] festgeschriebenen Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) in Höhe von 1,5 mg/m³ für Bitumenemissionen bei der Heißverarbeitung (Bitumenkondensat-Standard) beinahe ohnmächtig gegenüber. Auch wenn der Grenzwert zunächst für einen Zeitraum von fünf Jahren ausgesetzt wurde und vorläufig unter Einhaltung der Expositionsbeschreibung unter der Auflage weitergearbeitet werden darf, dass der Arbeitgeber für seine Beschäftigten 3-mal im Abstand von zwei Jahren arbeitsmedizinische Untersuchungen veranlasst hat [5], so ist davon auszugehen, dass ein ganzes Bündel geeigneter Maßnahmen umgesetzt werden muss, damit der AGW nach Ablauf der Übergangsfrist eingehalten werden kann. Dazu ist es aus der Sicht des Verfassers unumgänglich, sich unverzüglich kritisch mit Fragen zur bisherigen Erfassung und Bewertung der Bitumenexpositionen beim Einbau von Walzasphalt auseinanderzusetzen und Empfehlungen für die Durchführung weiterer notwendiger Messkampagnen zu unterbreiten. Kritikpunkt 1: Bisherige Vorgehensweise Die hier zitierten und auf einem Mineralölstandard (Verfahren Nr. 1) [6] basierenden Messwerte beziehen sich ausschließlich auf den Einbau im Freien. Die Resultate können nicht unmittelbar mit dem repräsentativen Bitumenkondensat-Standard verglichen werden (Verfahren Nr. 2) [7]. Für die Umrechnung von Resultaten aus dem Verfahren Nr. 2 in das Verfahren Nr. 1 ist ein Faktor von 0,6808 zu verwenden [6]: folglich beträgt der auf den Mineralölstandard umgerechnete AGW rd. 1,0 mg/m³. Nach Musanke et al. [18] geben die Expositionsbeschreibungen „die bei einer größeren Anzahl von Arbeitsplätzen für die verschiedenen Tätigkeiten ermittelten Expositionen wieder. Durch eine ausreichend hohe Anzahl von Messungen an verschiedenen Arbeitsplätzen kann die Exposition bei der jeweiligen Tätigkeit repräsentativ beschrieben werden und es ist sichergestellt, dass die Rahmenparameter die üblichen Bedingungen an diesen Arbeitsplätzen widerspiegeln.“ Im Zeitraum von 1994 bis 2017 erfolgten insgesamt 1.188 Messungen beim Einbau von Walzasphalt. In der betreffenden Expositionsbeschreibung [4] wird darauf verwiesen, dass Messungen • von ausschließlich polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und Aldehyden, • mit defekten Probenträgern, • bei Asphalttemperaturen oberhalb von 200 °C, • im unbelasteten Umfeld von Baustellen, um den Einfluss vor allem des Straßenverkehrs auf die Expositionen der Walzasphaltarbeiter abschätzen zu können, • direkt über der Schnecke des Fertigers, • beim Einbau von gummimodifiziertem Asphalt, • beim Einbau von temperaturabgesenktem Asphalt, • an Fahrern von Winden und Beschickern sowie an Lkw-Einweisern und Fahrern, • beim Einbau von konventionellem Walzasphalt in Tunneln, • an Fertigerfahrern, deren Fahrerkabinen geschlossen waren sowie • nicht zuordenbare Messungen, • Mehrfachmessungen am selben Ort und • Expositionen von Dämpfen und Aerosolen aus Bitumen mit einem ungewöhnlichen Quotienten Aerosol/ Dampf (< 0,1) aussortiert wurden. Die Ergebnisse der verbleibenden 498 Messungen an Kolonnen- bzw. Bohlenführern sowie Fertiger- und Walzenfahrern beim Einbau von konventionellem Walzasphalt im Freien werden in der Tab. A7 der Expositionsbeschreibung gezeigt (s. Tab. 1) und von der Branche erstaunlicherweise überwiegend widerspruchslos hingenommen. Da sich die Unternehmen bei der Gefährdungsbeurteilung auf die Expositionsbeschreibung beziehen und somit auf eigene Messungen verzichten können, ist es nachvollziehbar, dass ein entsprechend hohes Sicherheitsniveau gewählt und entsprechend der TRGS 420 [30] das 95-Perzentil der Messwertverteilung für die Bewertung herangezogen wird, was bedeutet, dass in 95 % der Fälle die Exposition kleiner oder gleich diesem Wert war. Die im Messsystem Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger für die Probenahme eingesetzten Messtechniker verfügen lt. Musanke et al. [18] über umfangreiche Branchen-/Baustellen-Erfahrungen und können beurteilen, „inwieweit die Arbeiten typisch ausgeführt wurden oder ob beispielsweise Worst-caseoder andere abweichende Bedingungen vorlagen“. Weiter wird berichtet, dass die „Analytik“ der Meßwerte „und insbesondere die Diskussion auftretender Fragen“ im Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) „in Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachleute in kleinen branchenbezogenen Arbeitskreisen des Gesprächskreises BITUMEN“ stattfand. Informationen, wie viele Baustellen sich hinter den 498 Messungen mit welchen spezifischen Einbaubedingungen verbergen und ob die Baumaßnahmen tatsächlich repräsentativ sind, werden dem Leser der Expositionsbeschreibung [4] vorenthalten. Da bringt auch der in [22] gegebene Hinweis, dass die „Exposition [auf Baustellen] natürlich sehr stark von Windstärke und -richtung sowie von den örtlichen Gegebenheiten ab[hängt]“, aber „dennoch repräsentative Expositionsdaten erhalten [wurden], indem eine große Anzahl von Messungen auf verschiedenen Baustellen durchgeführt wurde“, nicht Licht ins Dunkel. Es bleibt auch das Geheimnis der Analytiker, warum keine Abhängigkeit der Höhe der Exposition von den Parametern „verarbeitete[…] Menge, Einbaubreite, Beschaffenheit des Mischguts und des Untergrundes“ festgestellt werden konnte. Es wird lediglich angemerkt, dass es „in Einzelfällen bei ungünstigen Umgebungsbedingungen zu Expositionen > 10 mg/m³ [kam], z. B. bei 7|2020
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