54 Nachhaltigkeit Temperaturabsenkung mit Additiven Die Frage nach dem Mittel der Wahl Sebastian Miesem ist Experte für Additive und deren Einsatz im nachhaltigen Asphaltstraßenbau. Beim Asphaltseminar im März wird er einordnen, vor welchen Herausforderungen die Branche bei der Einführung Temperaturabgesenkter Asphalte bis 2025 noch steht. Er war als Referent auch an den DAV-Infoveranstaltungen zum Thema beteiligt. Wir haben mit ihm gesprochen – über die Bandbreite der zur Temperaturabsenkung eingesetzten Additive und darüber, nach welchen Kriterien Unternehmen das passende Additiv finden. Sebastian Miesem, Gründer der FAME GmbH (Quelle: FAME) : Wenn Additiv-Hersteller über die lange Erfahrung mit ihren Produkten sprechen, könnte man meinen, es gebe die Produkte schon länger als die Temperaturabsenkung an sich. Stimmt das? Sebastian Miesem: Es gibt unterschiedliche Additive in dem Segment mit unterschiedlichen Wirkungsweisen. In der Pilotproduktliste der BASt sind Additive aufgeführt, die schon sehr lang und international bekannt sind, aber auch neue Produkte. Das heißt: Einige Hersteller hatten schon länger die Vorzüge dieser Technologien im Fokus – die tatsächlich nicht allein in der Möglichkeit zur Temperaturabsenkung liegen. Daneben gibt es andere, die neue Produkte am Markt platziert haben, als klar wurde, dass 2025 die Übergangsfrist für den Arbeitsplatzgrenzwert enden wird. Dabei darf man aber nicht denken, das Thema Temperaturabsenkung sei in Deutschland ein neues. Der Leitfaden „Temperaturabgesenkte Asphalte“ des DAV kam zum Beispiel bereits 2009 heraus, was löblich ist. Schon damals wurde als Ziel die Verringerung der Dämpfe und Aerosole aus der Heißverarbeitung von Bitumen genannt. Auch die Energieund CO 2 -Einsparung waren bereits Thema. Ein erstes Merkblatt der FGSV zur Temperaturabsenkung stammt übrigens aus dem Jahr 2006. Bei unseren DAV-Veranstaltungen rauchte einigen Teilnehmern der Kopf angesichts der Vielfalt von Additiven, die sich zur Temperaturabsenkung einsetzen lassen. Wie sehen Sie das? Liegt in der Vielfalt nicht auch ein Vorteil? Auf der Pilotproduktliste stehen 13 Produkte, die mehrere Technologien umfassen: organische viskositätsverändernde Zusätze, chemische Zusätze mit der Verringerung der Oberflächenspannung, und der Ansatz der Vergrößerung des Bindemittelvolumens, was über mineralische Zusätze oder über Schaumbitumen funktioniert. Jedes Mischwerk entscheidet individuell, welches Produkt es einsetzt. Das ist was der Markt anbietet. Dieses Angebot ermöglicht es jedem Kunden, zu entscheiden, was für ihn der richtige Ansatz ist. Ein breites Portfolio an Produkten sehe ich daher als Vorteil. Es gibt ja nicht nur den Unterschied der Wirkungsweisen, sondern auch die Frage, ob man sich für ein vormodifiziertes Bindemittel entscheidet oder für eine Modifizierung am Asphaltmischwerk direkt. Zudem lassen sich je nach Additiv weitere Eigenschaften des Asphalts beeinflussen. Auch diese Entscheidungsfreiheit halte ich für wichtig. Wenn wir zunächst auf die Wirkung schauen: Wo liegen Unterschiede oder Gemeinsamkeiten der Additive, die zur Temperaturabsenkung verwendet werden? Alle in der Pilotproduktliste aufgeführten Produkte haben den Nachweis erbracht, dass sie mindestens eine Temperaturabsenkung von 20 Kelvin zulassen. Das ist die Gemeinsamkeit. Die Unterschiede muss man sich für jedes einzelne Produkt genau anschauen: zum Beispiel, ob sich das Temperatureinbaufenster durch die Modifizierung parallel verschiebt oder ob von oben 20 Kelvin abgeschnitten werden, das Fenster also enger wird. Irgendwann erreichen wir eine Temperatur, an der die Verdichtungswilligkeit unseres Asphalts nicht mehr gegeben ist. Ob sich dieser untere Wert mitverschiebt oder gleich bleibt, liegt natürlich auch am Grundbindemittel und nicht ausschließlich an dem eingesetzten Additiv. Sie haben es in Teilen schon beantwortet, aber da entsprechende Fragen immer wieder aufkommen: Warum kann man keine Empfehlung für eine Art von Additiv geben? Weil sich anhand individueller Überlegungen an jedem Mischwerk neu entscheidet, welches Produkt gerade dort am besten einzusetzen ist. Am Anfang steht die Frage: Möchte ich mein Bitumen selbst modifizieren oder auf ein vormodifiziertes Bindemittel setzen? Das schließt zum Beispiel schon einige Produkte der BASt- 1|2024
Nachhaltigkeit 55 Liste aus, weil sie sich entweder für die Voroder die Direktmodifizierung nicht eignen. Weitere Fragen spielen in die Entscheidung hinein: Habe ich vor Ort die Möglichkeit, direkt zu modifizieren? Muss ich dafür eine Anlage am Asphaltmischwerk einbauen? Und was will ich dafür investieren? Das berührt auch logistische Fragen, zum Beispiel Lagerkapazitäten und -möglichkeiten, Energiekosten vor Ort – auch im Zusammenhang mit der Witterung und der Art der Anlieferung. Wie wichtig ist das Argument vieler Hersteller, dass ihr Produkt bereits lange am Markt ist? Ich habe geschildert, wie individuell die Entscheidung für ein bestimmtes Produkt getroffen wird. Ein Kriterium ist, auf ein Produkt zurückzugreifen, für das bereits viele Erfahrungswerte vorliegen, aber es ist längst nicht das einzige. Es gibt Produkte, die bereits seit vielen Jahren großflächig eingesetzt werden. Jüngere Produkte am Markt haben allerdings ebenso ihre Wirksamkeit erwiesen. Sie alle haben ihre Berechtigung. Ich sehe nicht, dass sich in der Asphaltbranche Innovation und Altbewährtes ausschließen. Die Unternehmen sind sehr offen für Neues, sichern sich aber mit bewährten Optionen gegen Risiken ab. Daher gehe ich davon aus, dass sich jedes Unternehmen auf ein Produkt als Standardlösung festlegen wird, daneben aber mit einem oder zwei weiteren in Leuchtturmprojekten arbeitet, um flexibel zu bleiben und deren Eigenschaften kennenzulernen. Zur Umstellung auf Temperaturabgesenkte Asphalte werden Sie auch beim Asphaltseminar in Willingen sprechen. Wie sehen Sie die bisherige Entwicklung? Ich sehe das Thema als einen Marathon. Wir sind gut vorbereitet gestartet, zum Beispiel mit Neugründung der FAME GmbH Sebastian Miesem hat 2024 die FAME GmbH gegründet. FAME steht für Future Additives Materials & Engineering. Kern des Unternehmens ist der Vertrieb von Produkten für eine nachhaltigere Zukunft im Asphaltstraßenbau. FAME berät Kunden gemeinsam mit den Additivproduzenten hinsichtlich der Vorteile, Eigenschaften und Anwendungen der Produkte. FAME wird technisch beratend durch das Sachverständigenbüro MULTIVIA GmbH & Co. KG unterstützt. Ziel ist es, Bauherren, Planer, Asphaltproduzenten sowie ausführende Firmen und Labore in der Qualität ihrer Arbeit zu unterstützen. FAME bietet zudem ein breites Spektrum von Produkten zur Leistungssteigerung der Asphaltperformance an. dem DAV-Leitfaden von 2009, aber das ist noch nicht die heiße Phase, sondern erst der Weg bis Kilometer 10. Dann kommen die ersten Leuchtturmprojekte bis Kilometer 20. In Richtung Kilometer 30 sind wir schon recht weit: Temperaturabgesenkte Asphalte werden zum neuen Industriestandard ab 2025 erklärt, der DAV und die FGSV arbeiten darauf hin, es werden immer Ich sehe nicht, dass sich in der Asphaltbranche Innovation und Altbewährtes ausschließen. mehr Strecken gebaut. Und dann kommt Kilometer 33: Die letzten neun Kilometer – oder die letzten neun Monate vom Asphaltseminar März bis zum Jahr 2025 – werden richtig anstrengend. Da kommen die unvorhergesehenen Dinge, für die wir nicht trainiert haben. Was passiert, wenn ich Asphaltmischgut vorproduziere und erst am kommenden Morgen einbaue? Geht das dann immer noch temperaturabgesenkt? Mit jedem Additiv? Oder wie ist es mit Kleinabnehmern, die zwei Tonnen Asphalt über acht Stunden hinweg in kleine Aufgrabungen einbringen? Bleibt das kältere Mischgut lang genug einbaufähig? Und wie sieht es aus mit der früheren Verkehrsfreigabe? Wenn wir kälter einbauen, sollte sie möglich sein. Aber das hängt auch davon ab, wie sich das Mischgut aufgrund des modifizierten Bindemittels verhält. Wenn wir die Fragen jetzt alle abarbeiten, brauchen wir aber ein asphalt-Sonderheft. (Miesem lacht.) Ich möchte ja erst mal auf meinen Vortrag neugierig machen. Und beantworten kann ich sie auch noch nicht alle. Aber da müssen wir hin und ich möchte, dass wir über das Wie nachdenken. Ein paar Ideen habe ich auch schon, aber dazu mehr in Willingen. Dann freuen wir uns bis dahin – und vielen Dank für das Gespräch. Sie wollen einen Sonderdruck Ihres Berichtes aus einer Ausgabe der asphalt? Gerne senden wir Ihnen ein Angebot zu! Josef-Herrmann-Str. 1–3 · D-76473 Iffezheim · Tel.: +49 7229 606-0 infoSTV@stein-verlagGmbH.de · www.stein-verlagGmbH.de 1|2024
59. Jahrgang 1|2024 F e b r u a r F
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